Interview für den Rock Hard mit Volkmar Weber, ungekürztes Original vom April 2004 ►back

01. Wie bist du auf den Namen "Dreamweaver" gekommen, der das neue Werk betitelt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich um Zufall gehandelt haben soll, oder?

Nachdem sich die Idee manifestierte, mit den Texten in eine gewisse Richtung zu steuern, war „Dreamweaver“ einfach der griffigste und prägnanteste Slogan, was sowohl Lyrics als auch Musik betrifft. Ein Großteil der Texte ist inspiriert von meiner manchmal recht bizarren Traumwelt, Träume von großer Musik durchziehen unseren grauen Alltag und traumgleich könnte man viele der ausufernden Harmonien auf dem Album umschreiben. Die entsprechende Fantasie des Zuhörers vorausgesetzt, macht das unsere Platte eigentlich in jeder Hinsicht zu einem Traumweber. Daher war der Titel eine mehr als treffende Wahl und daher unumgänglich.


02. Stellt die neue Scheibe eine Art Neubeginn für GOLEM dar? Immerhin sind nach "The Second Moon" viele, viele Monate und Jahre vergangen. Würdest du sagen, die Band und du selbst haben sich in der Zeit verändert?

Unsere lange Abwesenheit in der Öffentlichkeit ist ja eigentlich durch andere Umstände verschuldet. Dem kreativen Prozess tat das im Grunde keinen Abbruch und wir haben während der ganzen Zeit an Golem gearbeitet. Vielleicht kann man eine Verschiebung der Prioritäten bemerken. Aber Dreamweaver ist nur die logische Folge unserer erweiterten kompositorischen Fähigkeiten und der konsequenten Konzentration auf unsere Stärken. Dass persönliche Entwicklungen nicht ohne Einfluss auf unser Schaffen bleiben, ist auch klar. Dass diese Entwicklungen stattfinden, ist zu erhoffen und erachten wir in jeder Hinsicht als positiv. Von einem Neuanfang bei Golem zu sprechen, würde aber der Kontinuität unseres musikalischen Idealismus Unrecht tun. Die grundlegende Motivation, Golem als sinnstiftenden oder notwendigen Teil unseres Lebens zu betrachten, hat sich auch nach fast 15 Jahren Geschichte nicht geändert. Das betrifft insbesondere unsere Meinung zur Weiterentwicklung dieser Musik, der wir ein paar neue, treffendere Argumente hinzufügen konnten.


03. Als alleiniger Songschreiber hat man natürlich vor Beginn einer Platte nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Stand die musikalische Richtung von Beginn an fest, hattest du einen konkreten Plan, der verwirklicht werden sollte?

Ein musikalisches Konzept steht bei uns nie am Beginn. Eher sind es kleinere Ideen, Geistesblitze, die man unbedingt umsetzen möchte. Daraus kristallisiert sich dann im Laufe der Zeit eine Tendenz, die man unterstützen oder bekämpfen kann. Das wäre der Bereich, der dann schon eher in musikalischer Arbeit ausartet, wobei die moderne Technik sehr hilfreich sein kann. Auch gewinnt man über die Jahre an Erfahrung und kann im Vorfeld schon ungewollten Zufälligkeiten aus dem Weg gehen oder sich mit der konkreten Umsetzung von Stimmungen erfolgreicher befassen. Einige musikalische Statements auf „Dreamweaver“ sind allerdings durchaus als solche zu verstehen und entspringen ganz konkreten Zielsetzungen. Kampf dem Schlager und der konservativen Langeweile!


04. Du sagtest bereits, dass dir rohe, ungeschliffene, dreckige Sounds in heutigen Tagen etwas überpräsent scheinen. Wie fügt sich "Dreamweaver" deiner Meinung nach in die heutige Soundlandschaft und die modernen Hörgewohnheiten der Menschen ein?

Genau anders herum wird ein Schuh daraus. Gerade im extremeren Metal-Bereich gibt es einen Overkill mit vollsynthetischen Drumsounds, bis ins letzte gesäuberten Gitarrenspuren und völlig dynamikfreien Masterklängen. Das hört sich im ersten Moment immer ganz nett an, geht mir mittlerweile aber total auf den Keks. Sicherlich sollte „Dreamweaver“ nicht klingen wie Napalm Deaths „Scum“, aber wenn ich mich zwischen diesem Sound und einigen überproduzierten Neulingen entscheiden müsste, hätte ich keine Probleme bei Auswahl des Erstgenannten. Wenn der Klang einer Musik aufhört zu leben, schlägt sich das auch auf die Musik nieder. Gerade durch meine Tätigkeit als Soundengineer kenne ich viele der Tricks, war oft begierig sie einzusetzen, habe mich auch in diesen technischen Spielereien verloren. Wenn aber einmal das Prinzip verstanden ist, geht der Glanz solcher Blendwerke schnell verloren. Die Meisterschaft in dieser Handwerkskunst erlangt man so bestimmt nicht. Daher haben wir eher Wert auf eine gewisse Ursprünglichkeit gelegt. Das Album dürfte damit in gewissen Grenzen sehr einzigartig sein, geprägt durch den Klang der eingesetzten Instrumente und den persönlichen Ausdruck der Musiker, roh, brachial und trotz allem virtuos.


05. Wie kam es zum Bruch mit eurem alten Drummer und wie lange hast du gesucht, bis ein geeigneter neuer Mann hinter der Schießbude verpflichtet werden konnte? Eric Krebs eilt der Ruf voraus, der schnellste Drummer der ganzen Hauptstadt zu sein.

Bei Michael standen einige persönliche Entscheidungen an, in denen Golem keinen Raum mehr fand. Zum Leidwesen des Restes der Band dauerte dieser Prozess allerdings ziemlich lange. Die reinigende Klärung kam dann aber doch und wir sahen uns vor ein großes Problem gestellt. Es war klar, dass es wohl kaum Leute mit entsprechenden Fähigkeiten gibt, die zudem frei verfügbar sind. Daher haben wir uns hauptsächlich im musikalischen Bekanntenkreis umgehört und sind dann eigentlich ohne große Umwege zu Eric vorgestoßen. Dass er genau der Richtige für den Job ist, hat er ja auf dem Album unter Beweis gestellt. Ich denke, dass sein Spiel uns einiges an neuen Möglichkeiten eröffnet hat und wir sind absolut glücklich, solch einen wilden Derwisch in der Band zu haben. Dass nun mittlerweile alle außer mir einer permanenten Doppelbelastung ins Auge sehen, ist zwar nicht gerade das Paradies, aber alles in allem recht praktikabel.


06. Stört es dich, dass euer neues Label nach wie vor den alten Carcass-Vergleich auf die Tagesordnung gesetzt hat?

Ja, es stört mich sehr. Aber mittlerweile habe ich ganz gut gelernt, mit den Spielregeln des Business klarzukommen. Einige Leute bekommen so vielleicht einen etwas eingeschränkten oder falschen Blick auf unsere Musik, aber wenn ein paar Hilflose unbedingt Krücken brauchen, dann sollen sie sie bekommen. Im Endeffekt sollte jeder selbst entscheiden, inwieweit man unsere Musik mit Maßstäben von 1993 messen kann, meiner Meinung nach ein lächerliches Unterfangen. Wir haben jedenfalls nichts unternommen, diese ewigen Vergleiche zu forcieren. Ich denke mal, dass uns selbst Darkthrone-Black Metal nicht vor genannter Band schützen würde. Also werden wir weiterhin unseren eigenen, ich denke wesentlich zukunftsweisenderen Film fahren. Die wirklich Interessierten wissen schon, wie sie die Sache zu sehen haben.


07. Auch wenn die neue Scheibe von rabiatem Blast-Geholze dominiert wird, ist die Saitenfraktion so komplex wie selten vorher arrangiert worden. Ganz getreu der von dir propagierten Devise (anhand der Griffbrett-Markierung): "Auf einen Punkt darf kein Punkt folgen".

Nimmt man Eric beim Wort, haben wir eine extrem geradlinige und sehr einfach zu verstehende Scheibe eingespielt. So verschieden kann man die Dinge sehen! Sicherlich sind wir etwas experimentierfreudiger geworden, was die teilweise recht untypischen Harmonien anbelangt. Von Werken der Klassik oder der zeitgenössischen Musik sind wir in Sachen Komplexität jedoch noch Lichtjahre entfernt. Wir behalten es uns vor, den Grad der Vielschichtigkeit aus persönlichen Motiven herzuleiten und scheren uns nicht um generelle Trends zu einer Musik, die auch noch der letzte Proll im Vollsuff mitgrölen kann. Jedenfalls waren Einfachheit, Klarheit und Eingängigkeit Teile unserer Zielsetzungen und die haben wir im Rahmen unseres Musikverständnisses auch umgestzt. Dass wir trotzdem an einen Unterschied zwischen Metal und Volksmusik glauben, kann man uns wohl nicht übel nehmen.


08. Hast du schonmal darüber nachgedacht, ob Carsten Mai nicht vielleicht doch die Re-Inkarnation von Bill Steer ist? Die unvergleichliche Art, Soli zu spielen, lässt eigentlich nur diesen Schluss zu, oder siehst du das anders?

Ohne Carsten würde Golem ein sehr wichtiges Element fehlen, dass ist klar. Aber ich sehe bei ihm schon einen sehr eigenen Stil, wofür wir ihn absolut bewundern. Seine Wurzeln liegen zudem eher bei anderen Gitarristen, das ist unverkennbar. Aber wer uns immer noch mit der wiederholt genannten Band vergleicht, dem entgehen solche feinen Unterschiede vielleicht. Dass uns eine Vorliebe für eher melodische Soli eint, sehe ich in diesem Punkt auch als absolutes Plus und würde mich in Sachen Bill Steer geehrt fühlen. Dieser hat sich jedoch immer stärker dem klassischen Blues zugewandt, wohingegen wir einiges an Zeit in eine morbide Extravaganz investiert haben.


09. Zwei Stücke heben sich deutlich vom Rest der Scheibe ab: Das Soundtrack-mäßig arrangierte Epos "The Tower" (quasi eine Verbeugung vor Emperor, Oxiplegatz und "Dune", oder?) und die Stravinsky-Adaption "Le Sacre Du Printemps".
Gerade für letzten Song haben schon zahlreiche Musikerkollegen Superlative erfunden, die noch nicht mal die Werbung kennt. Vielleicht einige Kommentare von deiner Seite zu beiden Stücken (Arrangement, Hintergrund, Vision)

Beide Stücke sind eigentlich Zufallsprodukte.

Zur Kompositionszeit von „The Tower“ habe ich gerade mit einer Band im Studio zusammengearbeitet, die sehr komplexe Orchesterarrangements auf dem Computer verwendeten. Inspiriert von deren Arbeitsweise habe ich dann selbst mit ein paar Melodien auf dem PC herumgespielt. Da ich dann irgendwann das ganze Thema Keyboard/ Sampler/ Synthesizer vom Tisch haben wollte, entschloss ich mich kurzerhand, die Sache mit diesem Stück zu begraben. Somit findet man dort den Großteil meiner damaligen Ideen zur virtuellen Orchesterbegleitung vereint. Besonders in den Klang der Orgel habe ich viel Zeit investiert, da ich ein großer Fan dieses Instruments bin. Sicherlich wäre es ein großes Geschenk, sollten wir je die Möglichkeit bekommen, wirklich mit einem Orchester zusammenzuarbeiten. Aber dafür schätze ich dann unsere Fähigkeiten doch als zu gering ein und verbessere mich lieber in Bereichen, in denen wir wirklich etwas Aussagekräftiges bewerkstelligen können.

Mit „Le Sacre…“ war es ähnlich. Schon seit gut anderthalb Jahrzehnten zählt dieses Werk aus dem Jahre 1912 zu meinen absoluten Lieblingskompositionen. Teile davon kann man auch als Intro und Outro auf unserem Debüt hören, welches Death Reality sogar in ihr Live-Cover von „Throne of Confinements“ eingebaut haben. Jahrelange Neugier auf die harmonischen Geheimnisse des Stückes hat mich dann zum Erwerb der Partitur getrieben. Neben den irrwitzigen Harmonien traten dann auch noch rhythmische Konstruktionen jenseits jeder 4/4-Vernunft zutage. Für mich natürlich Gründe, der Sache mit Selbsterfahrungen an Leib und Seele auf den Zahn zu fühlen. Zunächst begann ich, eine winzig kleine Passage nach der Vorlage einzuspielen. Mit Glücksgefühlen ob der zutage tretenden musikalischen Feinsinnigkeiten und ein wenig zuviel Zeit im Gepäck habe ich dann den ganzen ersten Teil des Stückes auf bis zu 10 Gitarrenspuren aufgenommen. Ohne viel anderes zu tun, hat das für weit mehr als einen Monat spannender Beschäftigung gesorgt. Etwas später kam dann noch ein von mir dazugedichtetes Drum-Arrangement hinzu. Dafür konnte ich auf dem Album leider keinen menschlichen Drummer verpflichten, was sich vielleicht auch mit einigen unspielbaren Übertreibungen erklären lässt. Auf jeden Fall war es zwar eine aufwendige, aber vor allem sehr lehrreiche Erfahrung und spurlos ist das Ganze an uns auch nicht vorübergegangen.


10. Liegt "Dreamweaver" wieder ein textliches Konzept zugrunde? Die Songtitel sind sehr kurz und knackig, das ich da eine konkrete Verbundenheit unterstellen will...

„Dreamweaver“ als Konzept-Album zu bezeichnen, würde etwas zu weit führen. Durch einen besonders intensiven Traum angeregt, keimte in mir die Idee, Stimmungen solcher Träume in textlicher Form umzusetzen und auszuschmücken. Das ist dann auch in der Mehrzahl der Stücke so geschehen und unter dem genannten, doch sehr treffendem Dach vereinigt worden. Es gibt aber auch eine Reihe von Texten mit unterschiedlichen literarischen oder anderweitig persönlichen Inspirationsquellen, so dass man nicht wirklich von einer lyrischen Einheit sprechen kann.


11. Das Cover wurde (für mich überraschend) von Niklas Sundin entworfen.
Welche konkrete Idee hattest du und wie nah ist die Umsetzung an deiner Vorstellung dran?

In Sachen optischer Umsetzung haben wir uns diesmal sehr zurückgehalten. Wir mussten eigentlich nur die eingehenden Vorschläge absegnen und sind letztendlich sehr gut damit gefahren. Das Cover gefiel uns auf Anhieb, wir brauchten lediglich ein wenig Bedenkzeit. Wie gesagt, wir selbst haben in dieser Richtung sehr wenig verschuldet und uns mehr auf die musikalische Fertigstellung konzentriert. Aber ich muss sagen, dass wir mit der sehr hellen, eher untypischen Verpackung unserer düsteren Musik außerordentlich zufrieden sind.


12. Wie wird es mit Golem jetzt weitergehen? Gibt es konkrete Pläne?

Erstmal freuen wir uns auf die anstehenden Konzerte, von denen es hoffentlich bald noch mehr geben wird. Eine Tour würde uns auch gefallen. Ansonsten ist erstmal unsere obligatorische Pause beim Komponieren angesagt. Schließlich wollen wir uns ja nicht wiederholen. Mit neuen Stücken ist also vor Ende des Jahres nicht zu rechnen. Allerdings werden wir unsere ersten beiden Outputs in neu gemasterter Form auf einer CD wiederveröffentlichen. Vielleicht lassen wir uns da auch noch einen leckeren Bonus einfallen. Ansonsten arbeite ich gerade an unserer Onlinepräsenz, eine Sache, die wir schon viel zu lange vernachlässigt haben.

►back